Leseprobe aus 'Liebe, Sünde, Tod'

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'Liebe, Sünde, Tod'
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EINS


Die Ratte lugte zwischen den Abfallsäcken hervor, welche die dunkle Seitengasse säumten. Der metallische Geruch von frischem Blut hatte ihre Gier geweckt. Lautlos dribbelte sie auf das Festmahl zu, folgte dem Duft des noch warmen Blutes und hinterliess dabei winzige Spuren im Neuschnee.

   Habibas Augen waren geschlossen, es sah aus, als träume sie friedlich, als träume sie von glücklichen Zeiten, als träume sie von ihrer Kindheit. Wie sie es geliebt hatte, nach Treibgut im Sand zu suchen, welches das azurblaue Wasser an den Strand gespült hatte. Den Klang der sich brechenden Wellen des Atlantiks hatte sie nie vergessen. Auch nicht den warmen Wüstenwind, der sich in ihren wilden Haaren stets verfangen hatte. Ihre Grossmutter hatte ihr die lockige Pracht zu einem kunstvollen Zopfgeflecht gebändigt. Und ihre grosse Schwester hatte ihr Halsketten aus Muscheln geknüpft. Sie hatte sich wie eine kleine Prinzessin gefühlt, stolz gekichert und geglaubt, die Welt gehöre ihr.

   Jetzt lag Habiba still. Jetzt waren es Schneesterne, welche ihre karamellfarbene Haut liebkosten. Jetzt lag die schwarze Haarpracht auf weissem Schnee, die ersten Strähnen bereits erstarrt. Jetzt lag keine Muschelkette um ihren Hals. Jetzt steckte ein kaltes, hartes Ding in ihrer ausgebluteten Halsschlagader.

   Die Ratte tauchte ihre Schnauze in den rot getränkten Schnee und leckte an dem frischen Blut. Plötzlich blickte sie auf und stiess einen spitzen Schrei aus. Sie wollte ihr Festmahl mit der Meute teilen. Die Augen des Biestes leuchteten rot in der Nacht, geblendet von den Scheinwerfern der Wagen, die auf der Hauptstrasse, nur ein paar Meter entfernt, vorbeifuhren. Die Nacht war kalt, dunkel und neblig. Die Strassen waren rutschig, und die Bremslichter der Autos blitzten immer wieder unruhig auf.


***

Überquerte man diese Strasse und folgte ihr etwa einhundert Meter Richtung Hauptbahnhof, vorbei an einem türkischen Gemüseladen mit verriegelten Türen und einem chinesischen Coiffeursalon, so kam man in eine kleine Gasse, welche direkt zum Hintereingang eines der angesagtesten Clubs der Langstrasse führte: das «White Rabbit».

   Eine junge Frau kämpfte sich in dieser kalten Nacht, in Ledermantel und Schal eingemummt, durch den Matsch zu diesem Hintereingang durch.

   «Lilou, Mädchen», sagte der dunkelhäutige Hüne, welcher die eiserne Tür bewachte, «mach deine nächste Zigarettenpause drinnen. Du holst dir noch eine Erkältung bei diesem Sauwetter. Du weisst, Heiner kann nicht auf dich verzichten.»

   Lilou formte ihren blutroten Mund zu einem Kuss und lächelte. Dann tätschelte sie den in eine warme Daunenjacke gepackten muskulösen Bizeps des Türstehers. «Du bist ein guter Kerl, Moses. Aber keine Angst, ich bin zäh. So schnell wird mich der Boss nicht los. Nicht, solange er gut bezahlt, n’est-ce pas?»

   Die Türangeln stöhnten, als Moses ihr fast ehrfürchtig öffnete. Lilou eilte dem schmalen dunklen Korridor entlang zu den Garderoben. Es war heiss hier drinnen, laute Musik liess die Wände vibrieren.

   Krystyna stürmte gerade aus der Garderobe Richtung Bühne. Zu ihrer Polizeiuniform trug sie halsbrecherisch hohe Absatzstiefel. «Du bist spät!», schnauzte sie Lilou an. «Ich möchte zu gerne wissen, was du in deinen Pausen immer draussen auf der Strasse treibst. Verdienst dir mit einer schnellen Nummer noch etwas Geld dazu, was? Wenn Heiner davon erfährt, bist du echt am Arsch.»

   Lilou nahm es locker. Sie konnte es ihr nicht verübeln, dass sie sauer war. Bei der Eröffnung des Clubs war Krystyna der Star des Abends gewesen – bis Lilou neu ins White Rabbit kam. «Schau du besser, dass keine Rückstände zurückbleiben, wenn du dir in deinen Pausen Koks die Nase hochziehst. Darauf steht Heiner absolut nicht», sagte Lilou und fuhr sich demonstrativ mit dem Zeigefinger unter der Nase entlang.

   Krystyna strich sich hektisch mit der Hand über den Mund. Ihre Augen funkelten böse. «Ja, grins du nur. Jetzt bist du noch Heiners Liebling. Aber das wird nicht mehr lange so bleiben, Flittchen.»

   Lilou hob, obwohl einen Kopf kleiner als ihre Kollegin, selbstsicher das Kinn. «Neidisch, Kryssy, weil dir meine Klasse fehlt? Und ganz ehrlich, die wirst du nie erreichen. Jedenfalls musste ich nie mit Heiner in die Kiste springen, um als Star des Abends angekündigt zu werden.»

   «Zicke!», fauchte Krystyna, schob ihre Polizeimütze zurecht und eilte auf die Bühne. Die nächsten fünf Minuten gehörten ihr.

   Lilou betrat die Garderobe und zog Mantel, Schal und ihre warmen Stiefel aus. Als sie sich die Lederhandschuhe abstreifte, kam die kleine Ming Ming in die Garderobe. Sie hatte ihren Auftritt soeben hinter sich und trug daher einzig schwarze Lackpumps und wollene Kniesocken – die angeblich zu einer offiziellen Schuluniform in Hongkong gehörten –, ansonsten war sie nackt. Ihre Kleidung, die sie über dem Arm trug, warf sie auf einen Hocker und kicherte dabei fröhlich wie immer. Ming Mings elfenbeinfarbene und schweissbedeckte Haut glänzte im Licht der Neonröhre. Ihr dunkles Haar war zu zwei Zöpfen gebunden, dekoriert mit lila Schleifen. Sie holte sich ein Glas Wasser von der kleinen Spüle und trank es in gierigen Zügen leer. Dann musterte sie Lilou. «Wo warst du denn so lange?», fragte Ming Ming mit ihrem süssen, lispelnden Akzent. «Du bist gleich dran.»

   Lilou trug bereits das goldbestickte Paillettenkleid, das zu ihrer zweiten Nummer gehörte. Sie musste sich also nicht mehr umziehen. «Ich war nur kurz eine rauchen», sagte sie. Sie nahm die blonde Langhaarperücke, die neben dem Schminkspiegel lag, und setzte diese auf. Den oberen schwarzen Lidstrich zog sie kräftig nach und griff nach dem roten Lippenstift. Sie lauschte der Musik im Club. Krystyna tanzte gerade zu Rihannas «Russian Roulette». Mit dem letzten Takt fiel der Schuss. Es wurde Zeit.

   Rasch stäubte sich Lilou noch etwas Goldpuder auf den Körper, schlüpfte in ihre Stilettos und warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel. Sie hörte, wie Paul auf der Bühne bereits ihren Auftritt ankündigte: Sie sei der Höhepunkt des Abends, prophezeite er, die neue Brigitte Bardot, aber viel sinnlicher, viel beweglicher und so unglaublich sexy an der Stange! Die ersten Takte von Serge Gainsbourgs «Je t’aime … moi non plus» klangen durch die Lautsprecher. Lilou wartete hinter der Bühne auf ihren Einsatz, presste ihre Hände auf den Bauch und schloss die Augen. Noch vier Takte …

   «Darf ich vorstellen», rief Paul den Gästen zu, «die atemberaubende – Lilou!»

   Sie nahm die drei Stufen hoch zur schwebenden Plattform, gehüllt in Trockeneis, das aus Düsen zu beiden Seiten der Bühne strömte und ihren Auftritt mit mystischen Nebelschwaden dramatisierte. Das Licht im modernen, futuristisch wirkenden Club war jetzt gedämpft, einzig violette Scheinwerfer spielten mit Lilous Silhouette. Sie stellte sich mit dem Rücken zu ihrem Publikum auf, bewegte ihren schlanken Körper langsam und sinnlich im Takt der Musik. Sie kreiste ihre Hüften, die Goldpailletten des kurzen Kleides kitzelten ihre Oberschenkel. Sie spreizte ihre Beine, stand plötzlich ganz still und warf ihren Kopf in den Nacken, die blonden Haare der Perücke reichten ihr bis fast zur Taille hinunter. Sie hob den rechten Arm über ihren Kopf, danach den linken. Mit den Fingerkuppen streichelte sie ihre Hände, spielte verführerisch damit … und liess plötzlich ihren Oberkörper nach vorne fallen, gewährte dem männlichen Publikum einen kurzen Blick auf ihren perfekt geformten Po. Nur ein goldener Tanga verbarg noch ihre intimsten Stellen. Jane Birkin stöhnte in Ekstase durch die Lautsprecher, als Lilou sich aufrichtete, die Träger ihres goldenen Kleides löste und der Hauch von Stoff zu Boden glitt. Noch bedeckte ein BH ihren Busen.

   In der Mitte der Bühne glänzte die Stange, die bis zur Decke reichte. Lilou ergriff sie mit einer eleganten Bewegung, wirbelte um sie herum und zog sich daran hoch, schlang die nackten Beine um das kalte Metall und liess ihren Oberkörper nach unten fallen.
   Der Club war zum Bersten voll, und jeder einzelne Gast starrte gebannt zu Lilou auf. Am hintersten Tisch sass ein Mann und setzte die Bierflasche an seine Lippen. Sein Atem ging stossweise, als er Lilous Brüste zu sehen bekam. Brüste, die er schon so oft bestaunt hatte und die doch so unantastbar für ihn waren. Er leckte sich mit der feuchten Zunge über die spröden, nach Bier schmeckenden Lippen und starrte gebannt auf die Bühne. seine Männlichkeit regte sich hart in der Hose, als Lilou bei den letzten Takten der Musik auch noch ihren Tanga abstreifte und mit dem Hauch von Chiffon provozierend zwischen ihren Zähnen spielte.

   Das Publikum johlte und applaudierte. Die Musik verstummte. Lilou verneigte sich, lächelte, hob ihr Kleid vom Boden auf und verliess rasch die Bühne.

   Der Mann am hintersten Tisch stellte die Bierflasche hin und zog stattdessen die kleine Brünette auf seinen Schoss, die den ganzen Abend schon fleissig an ihm herumgefummelt hatte. Er brauchte jetzt dringend eine scharfe Nummer. So wie jedes Wochenende, nachdem er Lilou tanzen gesehen hatte.

 

 

ZWEI


Barbara seufzte und wischte Krümel von Cems Weste. «Du bist wie ein Baby», sagte sie und schaute auf ihn hinunter. In dem engen Lift wirkte sie noch grösser als üblich. «Die halbe Pizza klebt an deiner altmodischen Kleidung.»

   «Keine Kritik an meinem Outfit», sagte Cem und hielt dem scharfen Blick der blauen Augen stand. «Auch Sherlock Holmes trug Mützen und Westen. Okay, Jeans vielleicht nicht.»

   «Eben», seufzte Barbara.

   Cem setzte sein bestes Grinsen auf. Hey, er war türkischer Abstammung, niemand konnte seinem Charme widerstehen. Auch nicht Barbara.

   Sie musste lachen.

   Kevin, der danebenstand, schüttelte belustigt seinen blonden Haarschopf. «Erst drei Wochen bei uns im Team, und schon wickelt er die Chef in um den Finger. Wenn du als Ermittler auch nur halb so gut bist wie im Flirten …»

   «Das werde ich euch schon beweisen», sagte Cem und zog seine Schiebermütze aus der Stirn. «Ich brauche nur endlich meinen ersten richtigen Fall, und ihr werdet staunen, was für ein Bulle in mir steckt.»

   «Männer!», rief Barbara aus. «An Selbstsicherheit hat es ihnen noch nie gemangelt.» Sie zupfte Cems Weste und seinen Hemdkragen zurecht.

   «Mich hast du nie so bemuttert», sagte Kevin.

   «Du bist hier auch nicht das Küken», sagte Barbara.

   «Aber immerhin vier Jahre jünger als Cem. Er hat die dreissig schon passiert, ich noch nicht.

Barbara liess es nicht zu, dass man ihr das letzte Wort stahl. «Cem ist der Neue, du dagegen ein alter Hase. Und du hast Gabi, die dich zu Hause verwöhnt. Unser Küken hier hat die Richtige noch nicht gefunden, also kümmere ich mich ein bisschen um ihn.» Damit war für sie die Diskussion beendet, und ihre beiden Kollegen wussten, wann es angebracht war, vor Barbara zu kuschen.

   Die kleine Gruppe trat im sechsten Stock der Luzerner Polizeizentrale aus dem Lift.

  Kollege Petersen von der Fachgruppe für Drogendelikte kreuzte ihren Weg. Er schob seine Nickelbrille den Nasenrücken hoch. «Wie war das Mittagessen mit der Stadträtin?», fragte er und beäugte Barbara dabei schon fast provozierend.

   Cem beobachtete seine Chefin genau. Jetzt wurde es interessant. Sie konnte Petersen nicht ausstehen. Barbara liess sich diesmal nicht aus der Ruhe bringen und trat ungemütlich nahe an Petersen heran. Sie überragte ihn um Kopfeslänge. Bedrängt wich der Kollege einen Schritt zurück. Cem hielt sich zurück. Schadenfreude sollte man nicht zu offen zeigen.

   «Wir führten ein privates, sehr konstruktives Gespräch», ging Barbara auf Petersens Frage ein. «Die Stadträtin wird sich hüten, Bestechungsgelder zu zahlen, nicht mal einen Schüblig. Sie hat sich nicht in meinen Fall einzumischen, bei dem es um schwere Körperverletzung geht. Ist mir egal, dass der Verdächtige der beste Kumpel ihres Sohnes ist. Auch wenn ich ihr die Schmiergeld-affäre nicht beweisen kann … so eine kleine Unterhaltung beim Mittagessen vollbringt oft Wunder. Sie ist sich jetzt bewusst, dass ich ihr peinlich genau auf die Finger schaue, und wird in Zukunft schön artig faire Politik anstreben.»

   Petersen schnaubte. «Sie haben ohne stichhaltige Beweise eine Stadträtin angeprangert. Laut Gesetz gilt die Unschulds- vermutung, bis diese Beweise vorliegen.»

   Barbara lächelte und warf ihre roten Haare in den Nacken. «Das Gesetz muss nicht zwangsläufig richtigliegen. Wir haben verlernt, auf unser Bauchgefühl zu hören – manchmal wenigstens. Und in diesem speziellen Fall, da hatten wir einfach ein Problem, die Stadträtin und ich, und das haben wir bei einem Mittagessen aus der Welt geschafft. Was regen Sie sich denn so darüber auf, werter Kollege? Sie haben doch nicht etwa auch am Fiskus vorbei verdient?»

   Petersens Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben. «Sie leben gefährlich, Frau Kollegin Amato.»
  «Sagen wir, meine Erfolgsquote bei der Verbrecherjagd ist unantastbar, und nach zwanzig Jahren in diesem Job ging es mir gesundheitlich nie besser. Ich denke, meine Eigeninitiative gegenüber gewissen Schurken hat mir nicht wirklich geschadet. Übrigens, wie sieht es in Ihrem Fall aus? Schon eine Spur, woher das Kokain stammt, das Sie letzte Woche aus diesem ominösen Lieferwagen sichergestellt haben?»

   «Wir arbeiten daran», sagte Petersen. «Kollegen, das ist reine Zeitverschwendung hier.» Er nickte Cem und Kevin zu und marschierte zu den Liften.

   «Ich kann den Kerl nicht ausstehen», sagte Kevin.

   Cem schob seine Mütze aus der Stirn. «Nicht auszudenken, ich wäre in seinem Team gelandet.»

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