Wer Krimis und Thriller schreiben will, braucht einen Plot, einen Plot mit einem Spannungsbogen der nie abreisst und am Schluss regelrecht Explodiert. Das muss keine Explosion wie in Actionfilmen sein, es kann auch eine emotionale Explosion sein, ein Höhepunkt, eine Szene, die alle vorangegangenen zusammenbringt, die nach einer Entscheidung verlangt, aus der etwas Neues wächst, die eine Erkenntis bringt - und dem Leser den Atem raubt. Solche Szenen sind extrem schwer zu schreiben - und noch schwerer zu finden.
Beginne ich mit einem neuen Krimi, so suche ich erst nach der Keimidee. Die kann ganz rudimentär sein. Bei 'Luzerner Todesmelodie' wollte ich meinem Ermittler Cem einen starken Gegenspieler präsentieren. Es sollte ein Katz-und Mausspiel zwischen den beiden werden. Das war die Idee. Anschliessend suche ich nach dem Milieu. Um bei 'Luzerner Todesmelodie' zu bleiben: da war es die klassische Musik. Dann kommen die wichtigsten Charaktere. Cem war ja gesetzt, also entwarf ich Neven - ganz rudimentär: ein Geiger, anziehend, manipulativ, genial, narzisstisch, sensibel.
Mit diesen drei Ausgangspunkten im Gepäck: Keimidee, Milieu, Protagonist und Antagonist - mache ich mich an den Plot. Und da beginne ich hinten bei der Schlüsselszene, dem Höhepunkt in Akt 3 (auf die 3-Akt-Strukur werde ich ein andermal zu sprechen kommen). Ich suche nach einem genialen Finale. Wo könnte das spielen (KKL), was steht auf dem Spiel (das Leben von geliebten Menschen), was sind unerwartete Wendungen (die Staatsanwältin taucht auf, gute Menschen entpuppen sich als Verräter), welche scheinbar gelösten und ungelösten Vorgängerszenen werden über den Kopf geworfen, wie kann es noch schlimmer für den Helden kommen, und noch schlimmer? Und was ist die unerwartete Tat, die mein Held vollbringt, um sich und seine Liebesten zu retten und den Bösen zu fassen? Ihr seht schon, so eine Szene ist ganz schön komplex. Und sie sollte bis auf wenige Punkte alle Fragen lösen, die im Verlauf des Falles aufgetreten sind und dies ohne langatmige Erklärungen, sondern in die Handlung miteingebaut!
Tatsache ist, ist die Schlüsselszene schwach und schlecht konstruiert, ruiniert sie das ganze Buch. Sie ist enorm wichtig, hinterlässt beim Leser gutes Gefühl und er wird weitere Bücher von diesem Autor kaufen. Andererseits wird er nie mehr ein Buch dieses Autors lesen, wenn ihn die Schlüsselszene nicht befriedigt hat.
Zwei grosse Fehler, die man machen kann:
1. Viel Action um nichts. Und danach muss man noch zwei Kapitel schreiben, um zu erklären, wie sich denn das alles abgespielt hat, wer mit wem warum und wann. All diese Fragen sollten sich natürlich in die Handlung der Schlüsselszene einbinden und aufgelöst werden. Nach dieser Szene darf nur noch ein Kapitel folgen. Diese Kapitel hat den Zweck, den Leser wieder runter zu bringen, durchatmen zu lassen und vielleicht noch zwei bis drei offene Fragen aus einem Nebenplot zu beantworten. In 'Luzerner Todesmelodie' waren das die Fragen, was mit der wertvollen Stradivari passiert ist und wie das Liebesleben der Protagonisten weiter geht.
2. Die Schlussszene ist unnatürlich konstruiert. Man merkt gleich, wenn der Autor seinen Plot nicht clever durchdacht hat und er seine losen Enden nicht mehr wirklich zusammenbringt, sich der rote Faden verknotet. Dann erfinden Autoren plötzlich seltsame Zufälle, neue Charaktere, nicht nachvollziehbare Handlungen oder mysteriöse Geheimnisse, nur damit sie ihren Fall zu einem Schluss bringen können. Und wenn das passiert, dann müssen sie seitenlang das wieso, warum, weil und deshalb erklären.
Um das zu verhindern ist es, meiner Meinung nach, wichtig, die Schlussszene zu kennen. Zu wissen, wohin meine Reise führt. Ich steige ja auch nicht in ein Flugzeug, ohne zu wissen, wo es landet. Sonst habe ich garantiert den Bikini dabei, wenn ich doch für Alaska besser die Fellmütze eingepackt hätte. Okay, ich brauche also die Schlussszene. Und das ist das Problem: der wohl härteste Part am Schreiben eines Krimis oder Thrillers. Es ist so verdammt schwer, eine gute Schlüsselszene zu finden. Ich brauche dafür manchmal Wochen und in dieser Zeit fliegen mir hunderte von Ideen über einen guten Anfang zu. Ich ignoriere sie, knallhart. Denn die Zeit die ich damit verbringe, meine Schlüsselszene zu finden, ist auch die Zeit, die ich mit meinen Protagonisten verbringe. Ich lerne sie kennen, berate mich mit ihnen, erfahre, was sie lieben, was sie Angst haben zu verlieren, wo ihre Stärken und Schwächen sind. Ich erarbeite mir die Schlüsselszene sozusagen zusammen mit meinen Charakteren. Und habe ich diese Hürde genommen, dann muss ich auch keine grossen Charakterblätter mehr ausfüllen. Jetzt kenne ich meine Helden und Bösewichte. Und kenne ich die Schlussszene, dann weiss ich auch, welche von meinen hundert Ideen eines Anfangs die richtige ist. Denn der Anfang muss das Ende einleiten. Beide Szenen sollten einen gemeinsamen Nenner haben. Das kann ein Gegenstand sein, ein Wort, ein Charakter, eine Geste, irgendetwas, das man am Anfang fast überliest und das am Ende plötzlich wieder auftaucht und die Story zusammenbringt. In 'Luzerner Todesmelodie' war das Cems Schwester und der Flughafen. Nesrin ist nur eine Nebendarstellerin im Buch, aber sie kam in die Schweiz und brachte das Chaos. Sie war die Entscheidung die Cem in der Schlüsselszene treffen musste und mit ihrer Abreise ist alles vorbei.
Mein Tipp an alle die schreiben wollen: verbringt viel Zeit mit der Schlussszene, habt sie in eurem Kopf, schreibt sie auf, ganz grob nur, die Details kommen später. Fädelt eure Erzählstränge von hinten auf und geht dann zum Anfang. Sucht einen Beginn, der zu dieser vorletzten Szene passt. Von da an habt ihr alle Fäden in der Hand, könnt in alle Richtungen sticken und nähen, denn ihr wisst, die Fäden führen alle zurück zum Nadelöhr, und sind sie da durch, explodiert euer Fall zu einem Feuerwerk.