Jede Geschichte lebt von den Figuren, von dem Helden (oder der Heldin), dem Protagonisten. Aber wie finde ich ihn? Wie sollte mein Held sein? Was macht ihn einzigartig? Wie wird er vielschichtig und nicht stereotyp? Denn: der Held entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg der Geschichte.
Vorneweg: ich spreche hier ganz klar über meinen Weg, wie ich den Helden finde. Jeder Autor hat da so seine eigenen 'Mittelchen', den unvergesslichen Helden zu produzieren. Es ist fast wie beim baken eines Kuchens: man nehme dies und das, mische und rühre, schüttle und lasse es gehen, und wenn die Mischung am Schluss zu einem wundervollen Kuchen aufgeht - ohne zu implodieren - dann, genau dann, hat man den Helden gefunden. Aber wie macht man das?
Meine Zutat Nr. 1: das Bild
Ich muss meinen Helden visuell vor mir haben. Es ist so viel einfacher, ihn zu erleben, zu fühlen, zu verstehen. Meistens engagiere ich dafür einen Filmstar. Und der arbeitet für mich ohne Gage. Wir Autoren haben es da echt einfach. Nur niemals verraten, wen ihr als Vorlage gewählt habt, nicht dass der Filmstar noch was einfordert... :-)
Aber warum einen Helden aus der Filmbranche? Ganz einfach: von den Stars gibt es unzählige Bilder im Netz. Wichtig ist für mich eigentlich nur der Gesichtsausdruck. So stelle ich mir von jeder Figur in meinen Büchern eine Set-Karte zusammen. Ein Bild mit einem Schmunzeln, ein grimmiger Blick, ein ängstlicher Ausdrück, herzhaftes Lachen... kurz, soviele Emotionen, wie ich finden kann gehören auf die Set-Karte. Schreibe ich dann eine Szene, in der mein Held wütend wird, liegt das Bild mit eben diesem Gesichtsausdruck neben dem Computer. Glaubt mir, es hilft ungemein beim Schreiben - oft im Unterbewusstsein - dem Helden durch diese Technik treu zu bleiben und ihn realistisch zu gestalten.
Zutat Nr. 2: die Physiologie
Postur, Alter, Aussehen, Merkmale, Gesundheit ect.
Zutat Nr. 2: die History
Was hat mein Held bisher erlebt? Wie war seine Kindheit, seine Bildung, sein Beruf, seine schönsten und schlimmsten Erlebnisse? Auch Wohnen, Geld, und Religion nehme ich hier rein.
Zutat Nr. 3: die Soziologie
Familie, Freunde, Umgang mit Menschen, Untergebenen und Vorgesetzten.
Zutat Nr. 4: die Psychologie
Ethnische und moralische Werte, sexuelle Ausrichtung, Lebensziele, Frustration, IQ, Talent, Fähigkeiten, Ehrlichkeit, Neigungen ect.
Zutat Nr. 5: das Temperament
Cool, sexy, feurig, charmant ect. Komplexe, Obsession, Aberglaube, Phobie, Stress...
Zutat Nr. 6: die Sprache
Eigenart, Satzbau, saloppe oder akademische Ausdrucksweise? Bildung und Fremdsprachen, Fluchen, häufige Wörter, Dialekt? Finde einen typischen Sprachrythmus für deinen Helden.
Zutat Nr. 7: die Willensstärke
Innere und äussere Stärke, Durchhaltewillen und Entscheidungslust. Wofür würde der Held sterben?
Zutat Nr. 6. das Schicksal
Pechvogel oder Glückspilz? Die Liebe? Die Gesundheit? Die berufliche Zufriedenheit? Die Hoffnung? Die Zukunft?
Am besten stellt man sich die Liste so zusammen, dass es für einem stimmt. Es gibt Autoren, die so ein Charakterprofil über viele Seiten ausarbeiten, andere notieren sich nur Stichworte. Jeder hat so seine eigene Art, die Zutaten zu mischen.
Hilfreich ist oft auch ein Monolog. Ich lasse den Helden auf 1-3 Seiten einen Monolog über das Thema führen, das in meiner Geschichte wichtig ist. Dabei achte ich vor allem auf seine typische Art der direkten Rede. Diesen Monolog nehme ich dann als Referenz, wenn ich bei Dialogen wieder einmal anstehe.
Habe ich meinen Helden soweit ausgearbeitet, dann lebe ich einige Wochen mit ihm zusammen - in meinen Tag- und Nachtträumen. Er fährt mit mir im Auto mit, geht mit mir einkaufen, schaut mit mir Fern und begleitet mich beim Joggen. Irgendwann wird er dann ein Teil von meinem täglichen Leben. Das ist der Zeitpunkt, wo er bereit ist, in meine Geschichte einzutauchen. Habe ich zu schreiben begonnen, brauche ich nur noch selten meine Notizen mit all den Zutaten. Da kenne ich den Helden schon so gut, als wäre er ein Teil von mir.
Noch ein paar Hinweise.
-Meide unentschlossene und schüchterne Charaktere. Die Story vom hässlichen Entlein, das sich zum stolzen Schwan mausert geht zwar ans Herz, aber als junger Autor ist es enorm schwierig, so einen Charakter glaubwürdig rüber zu bringen. Und meistens legen die Verlage solche Geschichten gleich zur Seite. Denn Schüchternheit ist etwas, das sich im Leben nur schwer ablegen lässt. Eine Geschichte mit solch einer Figur wirkt schnell unglaubwürdig. Also - such dir einen Kämpfer!
-Um dem Klische vom Stereotypen zu entkommen, hilft dieser Trick: man nehme den Stereotyp (starker, schöner, selbstbewusster Basketballspieler) und gebe ihm untypische Verhaltensmuster (er strickt Mützen, leitet eine Tierpension, schreibt Liebesromane unter einem Pseudonym ect.)
-Zeigt euren Charakter in möglichst vielen Lebenssituationen. Er wird dadurch vielschichtiger: bei der Morgentoilette, beim Einkaufen, bei einem Streit mit dem Nachbarn, im Kindergarten, beim Boxtraininge ect. Der Schauplatz muss nicht immer die Wohnung, das Büro oder die Stammkneipe sein. Indem ihr die Handlung in spannende Schauplätze einbaut, könnt ihr dabei gleich eine neue Facette eures Helden zeigen, mit all seinen Schwächen und Stärken.